- EROP Deklaration Osteopathie, deutsche Version 11/2011

Osteopathische Medizin (OM) ist ein Zweig der medizinischen Wissenschaften. Osteopathische Medizin gründet sich auf die philosophischen Prinzipien von Dr. A. T. Still, der Entdecker der Osteopathie. Osteopathische Medizin betont die wechselseitige Beziehung zwischen Struktur und Funktion. Sie unterstützt die Fähigkeit des Organismus, saluto-genetische (gesundmachende) Ressourcen zur Wiederherstellung und Erhaltung der Gesundheit einzusetzen. OM beinhaltet insbesondere eine umfassende manuelle Untersuchung, Diagnostik, Therapie und Prävention von Funktionsstörungen – somatische Dysfunktionen – im muskulo-skelettalen System (parietal), den viszeralen Organen (viszeral) und dem peripheren und zentralen Nervensystem (kraniosakral). Osteopathische Medizin ergänzt und erweitert das etablierte Medizinsystem im Kontext einer integrierten Patientenversorgung, die sowohl basiert ist auf Evidenz als auch Patienten zentriert arbeitet.

Somatische Dysfunktion (SD)
Eine Somatische Dysfunktion ist eine beeinträchtigte oder veränderte Funktion der wechselseitig in Beziehung stehenden Komponenten des somatischen Systems im parietalen (muskulo-skelettal), viszeralen (Organen) und kraniosakralen (peripheren und zentralen Nervensystem) Bereich. Eine somatische Dysfunktion zeigt sich in Funktionsstörungen des muskulo-skelettalen Systems und der verbundenen vaskulären, lymphatischen, viszeralen und neuralen Elemente. Diagnostische Kriterien einer SD sind vor allem Abnormalitäten der Gewebestruktur und -spannung, eine Asymmetrie sowie eine qualitative und quantitative Änderung des Bewegungsumfanges.

Osteopathisch Manipulative Therapie (OMT)
OMT ist die therapeutische Anwendung manuell geführter Kräfte, mit dem Ziel die physiologische Funktion zu verbessern und / oder die Homöostase zu unterstützen, die durch eine somatische Dysfunktion gestört wurde. Dies wird erreicht durch eine breite Vielfalt an Techniken die zur Behandlung von somatischen Dysfunktionen im parietalen, viszeralen und kraniosakralen System eingesetzt werden.

Traditionelle Philosophie von A.T. Still
Sie gründet sich auf den "triune man" mit body, mind and spirit. Still betrachtete die Osteopathie in erster Linie als Philosophie. Mit seiner Art komplex zu denken hat er im 19. Jahrhundert Theorien der Kybernetik, der Systemtheorie und der Chaostheorie ein dreiviertel Jahrhundert vor deren Formulierung vorweggenommen. Still kann daher als visionärer und komplexer Denker bezeichnet werden. Dieses vernetzte Denken ist eine der wesentlichen Grundlagen der Osteopathie. Die Osteopathie des 21. Jahrhunderts gründet sich auf die grundlegenden philosphischen Erkenntnisse von A. T. Still im 19. Jahrhundert. Die Philosophie und Praxis der Osteopathie muss aber mit den Erkenntnissen der modernen Wissenschaften und der langen medizinischen Tradition Europas in das 21. Jahrhundert transformiert werden.

Das biologische Paradigma
Alle biologischen Systeme zeichnen sich aus durch Bewegung, Stabilität und eine Energie Balance. Lebende Zellen sind immer in Bewegung mit allen ihren Elementen. Gleichzeitig besteht eine hoch entwickelte Stabilität für Form und Gestalt. Biologische Systeme können sich daher ständig anpassen und sie behalten gleichzeitig ihre Strukturstabilität. Die Grundlagen Wissenschaftler erklären diese Zusammenhänge mit dem Tensegrity Modell. Biologische Strukturen sind ferner so konstruiert, dass alle Funktionen immer mit einem möglichst geringen Energieaufwand ablaufen. Osteopathie greift in allen drei Bereichen ein, der Bewegung, der Stabilität und der Energie Balance. Der Hauptfokus der Osteopathie ist die gestörte Bewegung.

Fokus der Osteopathie
Alle Bereiche der medizinischen Versorgung können von der Osteopathie profitieren. Der Kernpunkt der osteopathischen Berufe ist die einzigartige Philosophie, die zu einem fundamental unterschiedlichen Ansatz in der Diagnose, Therapie und Prävention führt. In der Osteopathie haben wir eine Art Netzwerk Denken und Handeln. Grundlage dafür ist die wechselseitige Beziehung von Struktur und Funktion. Dies ist der eigenständige Kern der Osteopathie. Bei der Struktur richtet sich der Fokus auf die physiologische und die pathologische Struktur. Bei der Funktion wird die physiologische Funktion aus der Perspektive Balance und Homöostase und Somatische Dysfunktion analysiert. Die wechselseitige Beziehung von Struktur und Funktion hat Still immer besonders hervorgehoben. Dies ist eine seiner wesentlichen Entdeckungen. Bei der Steuerung wird die Rolle des peripheren und zentralen Nervensystems für die Koordination und Dyskoordination von Struktur und Funktion analysiert. Vernetztes Denken und Handeln ist die zentrale Perspektive in der Osteopathie für die Untersuchung, Diagnose, Therapie und Prävention von Struktur, Funktion und Steuerung in allen Bereichen des Körpers. Der Hauptansatzpunkt in der Therapie ist die verbesserte Funktion im parietalen, viszeralen und kraniosakralen System. über die verbesserte Funktion verändert sich auch die Steuerung und langfristig auch die Struktur und umgekehrt. Die Osteopathisch Manipulative Therapie (OMT) beeinflusst alle Körpersysteme mikroskopisch und makroskopisch. Ursache dafür ist die Tensegrity Konstruktion des Körpers und die Kontnuität der Faszien. Aufgrund dieser Konstruktions-Prinzipien kann Osteopathie bis auf den zellulärem Level regulierend wirken.

Die fünf Modelle in der Osteopathie
Die fünf Modelle der Osteopathie sind Konzeptualisierungen der Denkweisen und Vorstellungen, wie physiologische Vorgänge im Patienten analysiert und beeinflusst werden können. Die Individualität unserer Patienten und deren Muster an somatischen Dysfunktionen erfordert auch eine individuell abgestimmte Therapie, die mit dem aktuellen Gesundheitszustand des Patienten angepasst ist. Die eingesetzten Methoden bedienen sich eines oder mehrerer dieser fünf Modelle als Erklärungsmodell für die Wirkweise. Die fünf Modelle der Osteopathie sind:

  1. das biomechanische Modell
  2. das bio-psycho-soziale Modell
  3. das bioenergetische Modell
  4. das respiratorische Modell
  5. das neurologische Modell

Interaktionen Osteopathie und klassischer Medizin
Osteopathische Medizin (OM) ist komplementär zur Standard Medizin. Der Fokus der OM sind somatische Dysfunktionen (SD). SD finden sich in allen Regionen des Körpers und betreffen verschiedene medizinische Fachgebiete. OM ist mit allen medizinischen Disziplinen und verschiedenen Gesundheitsberufen interdisziplinär assoziiert. Osteopathische ärzte kombinieren die Anwendung der übligen medizinischen Diagnostik und Therapie mit der osteopathischen Diagnose und Therapie bei der Betreuung ihrer Patienten.

Osteopathische Medizin ist integrativ
In unserem modernen Gesundheitssystem verfügt die Osteopathische Medizin über eine starke integrative Ressource. In der klassischen Medizin ist traditionell das Pathogenese-Modell verankert. In den letzten 20 Jahren hat sich das Bio-Psycho-Soziale Krankheits-Modell durchgesetzt. Das klassische Gegenmodell zur Pathogenese- ist das Salutogenese-Modell, bei dem nicht die krankmachenden sondern die gesund erhaltenden und die gesund machenden Kräfte im Vordergrund stehen. Das Osteopathische Gesundheits- und Krankheitsmodell kann fast alle dieser Aspekte in ihre Patienten zentrierte Sichtweise integrieren. Gleichzeitig ist kritisches Denken und Evidenz basierte bzw. Evidenz informierte Medizin elementarer Bestandteil von Osteopathischer Medizin. Beide Aspekte zusammen bilden die integrative Ressource.

[Referenz: EROP Deklaration Osteopathie, Deutsche Version 11/2011]